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Weinjahr 2019 in Südtirol: Hartes Jahr, großes Potential

Im Weinberg dreht sich das Rad der Zeit 

Ein Weinjahrgang ist viel mehr als nur ein schmucker Aufdruck auf dem Etikett, mehr als die bloße Gesamtheit aller Weine eines Vegetationszyklus, mehr noch sogar als das Miteinander von Lage, Boden, Klima und Mensch. Denn dieses Miteinander ist lediglich die Achse, um die herum sich das Rad der Zeit dreht. Ein Weinjahrgang ist unlöslich verbunden mit der Vergangenheit - wie steht es um die Gesundheit des Weinbergs? - der Zukunft - wann wird der Wein abgefüllt? - und natürlich der Gegenwart. Ein Weinjahrgang wird beeinflusst von den klimatischen, den ökonomischen und oft sogar den soziopolitischen Bedingungen des eigentlichen Weinwirtschaftsjahres, aber auch der umliegenden.
Ein Weinjahrgang ist also ein hochkomplexes Ökosystem, von dem die Existenzen tausender Menschen unseres Landes abhängen. Verläuft ein Jahrgang also so ungewiss wie der vergangene, lässt es sich getrost behaupten, dass Winzernerven auf die Probe gestellt wurden.

Das kleine Jahrgangs-Einmaleins 

Aus rein landwirtschaftlich-klimatischer Sicht lässt sich ein vorteilhafter Weinjahrgang in sehr groben Zügen auf 5 Grundvoraussetzungen reduzieren:

  1. Früher und frostschadenfreier Austrieb.
  2. Frühe Blüte und trockenes Wetter zwischen Mai und Juli.
  3. Sonnenreicher Sommer ohne extreme Hitze.
  4. Mäßige Niederschläge während der Reifephase im August.
  5. Stabiles und trockenes Wetter während der Erntezeit im September und Oktober.

Natürlich stecken dahinter weitaus komplexere Prozesse, die abhängig von Sorte, Lage, Region und vielen weiteren Faktoren deutlich variieren können, doch für ein grundlegendes Verständnis der Probleme dieses Jahrgangs genügen diese 5. 

Wenn nichts läuft, wie es soll…

Bündelt man das Urteil von Hans Terzer, Kellermeister der Kellerei St. Michael Eppan sowie Präsident des Verbands Südtiroler Kellermeister, lässt sich das Jahr 2019 als ein Ringen mit unsichtbaren Mächten zusammenfassen: Das Wetter machte den Winzern wiederholt einen Strich durch die Rechnung und doch konnten sie dank harter Arbeit und genauer Selektion Qualitätsernten einfahren.

Das nassfeuchte Ausklingen des Winters war zugleich der Auftakt eines regnerischen und turbulenten Frühjahrs: April und Mai waren von Kälte, extremen Wetterbedingungen und Hagel gebeutelt. Der Austrieb der Reben ließ sich davon jedoch wenig anmerken, anders aber die Vollblüte: Das besonders wechselhafte Wetter im Mai führte zu einer zehn- bis vierzehntägigen Verzögerung des Reifebeginns im Vergleich zum langjährigen Mittel.

Vom niederschlagreichen Frühling war man bereits im Frühsommer weit entfernt, dessen außerordentlich hohe Temperaturen sich erst im Juli einpendelten. Anfang August schlug die Trockenheit abrupt in Regenfluten und Hagelstürmen um. Die Gewitter gipfelten am 6. August und konzentrierten sich im Raum Bozen mit schwerwiegenden Folgen für den hiesigen Weinbau: Auf 100 ha Anbaufläche kam es stellenweis zu bis zu 100% Ernteverlust. Der gesamte Spätsommer gestaltete sich heiß und schwül, was in verschiedenen Lagen zu Fäulnisproblemen führte.

... und es trotzdem klappt!

Mutter Natur warf den Winzern Anfang September jedoch einen Rettungsreif zu und segnete den zwar um zwei Wochen verspäteten Erntebeginn mit hervorragend gleichbleibendem und trockenem Wetter. Insgesamt gelang es den Südtiroler Weinbauern trotz des launenhaften Jahres qualitativ hochwertiges Traubengut zu erwirtschaften. Darüber hinaus waren sie in der Lage, mit Ausnahme der Bozner Gebiete, das Erntedefizit im Vergleich zum Vorjahr um die 10-15% zu halten, was angesichts der widrigen Umstände ein Zeugnis von großem Einsatz und Geschick ist!

Süden

Was genau dieser klimatische Verlauf des Jahres für den Wein bei euch zu Hause im Glas bedeuten mag, auch das weiß Hans Terzer, vorherzusagen: Die Weißweine aus dem Unterland werden dieses Jahr besonders knackig und dynamisch werden und zugleich etwas an Alkohol einbüßen. Dem stimmt auch Fanz Haas vom gleichnamigen Weingut in Montan zu. Für seinen Weißburgunder und den Pinot Grigio sagt er Tiefgang und Frische vorher, während Gewürztraminer und Co. weniger aromatisch aber charaktervoll ausfallen werden.

Positiv überrascht und erwartungsvoll äußert sich Hans Terzer über das Potential von Vernatsch und Blauburgunder. Die Rotweine hatten dank des späteren Erntebeginns mehr Zeit zum Reifen, die den Weinen Tiefgang und Charakter verleihen kann.

Westen
Im Westen des Landes sieht es in Sachen Rotwein ähnlich aus. Der Kellereimeister der Kellerei Meran Stefan Kapflinger vergleicht den Jahrgang 2019 mit jenem von 2016. Die starken Temperaturunterschiede und das wechselhafte Wetter begünstigten die Traubenreife der Rotweine aus dem Westen des Landes. 

In den höheren Lagen im Vinschgau, wo sich Riesling und Weißburgunder besonders wohl fühlen, gilt selbiges nur in Extremformat. Das regenarme Gletschertal blieb das ganze Jahr über relativ trocken, doch die heftigen Temperaturschwankungen spürte man hier wohl am stärksten. Die Weißweine aus dem Vinschgau sollen also besonders athletische und rassige Züge entfalten.

Osten

Am andern Ende der Kompassnadel zeigt sich der Präsident der Freien Weinbauern Südtirols Hannes Baumgartner vom Strasserhof in Vahrn relativ gelassen. Das Eisacktal überstand abgesehen von vereinzelten Fäulnisproblemen und Hagelschäden die gravierendsten Turbulenzen des Jahres weitgehend unversehrt. Baumgartner ist mit der Traubenqualität zufrieden und prognostiziert gewohnt fruchtig frische Eisacktaler: Riesling und Veltiner werden mit Frische punkten, während Müller-Thurgau und Kerner besonders aromatisch und lebhaft werden sollen.